Laudatio R.R im Kunstverein Gera 12.05.05

„Poesie des Rasters“

Ich freue mich über das interessante Kontrastprogramm unseres Kunstvereins, zunächst die faszinierende temperamentvolle gestische Malerei der großen Gerda Lepke, – nun mit Reinhard Roy einen international bekannten Vertreter der „Konkreten Kunst“.

Beide eint ihre kompromisslose Haltung zur Freiheit und Autonomie der Kunst.

Die wichtigste Quelle der Konkreten Kunst, einer Welt umspannenden Bewegung mit Zentren u. a. in Gmunden am Traunsee und Erfurt ist im Konstruktivismus und damit auch bei den Meistern und Schülern des Bauhauses zu finden, jener Zeit der Klassischen Moderne also als Künstler ihr Tun noch als verantwortungsvolles, aktives „Wirken in ihrer Zeit“ ansahen.

Existentielle Elemente Konkreter Kunst sind von Ursula Zeller 1995 in folgendem Credo prägnant zusammengefaßt worden:
„Denn nichts ist konkreter, wirklicher als eine Linie, eine Farbe, eine Fläche“ 1)

In der Konkreten Kunst geht es stets um die Autonomie der gestalterischen Mittel, ja letztlich des Werkes schlechthin, um seine Unabhängigkeit von einem real – äußeren.
Wenn man so will, nehmen ihre Protagonisten Paul Cézanne ganz ernsthaft beim Wort, wenn er von einer „Kunst parallel zur Natur“ spricht.

Als Parallelen zur – oder als eine besondere Art des Extraktes aus der Natur empfinde ich auch Malerei und Plastik Reinhard Roys, der an der legendären „Burg Giebichenstein“ zu Halle (heute Hochschule für Kunst und Design Halle) Glasdesign studierte, und über Materialcollagen und Assemblagen sowie frühzeitiger Beschäftigung mit konstruktiven Gestaltungselementen zur freien Kunst fand.
Er führt die beiden Genres auf ihre UR- Elemente Farben, Flächen und Körper und deren Wechselspiele mit Raum schaffenden Qualitäten zurück. Ihre elementaren imaginativen Kräfte, ihre Empfindungs- und Aussagefunktion entfalten sich nur aus sich selbst heraus in der formalen wie geistigen Präzision des Einsatzes der gestalterischen Mittel.

Das Material selbst ist der Inhalt, es verweist auf nichts, das außerhalb davon liegt.
Auf den ersten Blick erscheinen Reinhard Roys Werke designerhaft kühl und unpersönlich.
Sehen wir sie uns genauer an, entdecken wir in oder hinter diesem „extrem Gleichen“ wie es Eugen Gommringer einmal genannt hat, eine untergründige zweite sehr individuelle, gar nicht mehr extreme Gleichheit sondern feinste oszillierende Differenzierungen.

Von dem Kontrast zwischen, kompromißloser Strenge und feinnerviger Coloristik geht eine lebendige Strahlkraft aus, die zu intensiver individueller Zwiesprache herausfordert und den Betrachter in meditative Selbstvergessenheit geraten lassen kann.

Sie vermitteln subtile Assoziationen an vielfältige Bereiche unseres Lebens ebenso, wie ganz persönliche Signale eines Künstlers von sich selbst, der mit Empfindungsreichtum, künstlerischer Konsequenz und souveränem Können Bilder von eindringlicher meditativer Kraft schafft.
Ein charakteristisches, über formale künstlerische Problemstellungen hinausweisendes Grundthema der Roy´schen Kunst scheint mir das vom Verhältnis des Einzelnen zur Masse, vom Detail zum Ganzen, von Mikro- und Makrokosmos zu sein, Begriffspaare, in denen wir als Menschen seit Urzeiten eingebettet sind und die letztlich unser Denken in der Suche nach den Koordinaten unseres Seins grundsätzlich bestimmen

Es ist wohl die innere tiefe Sehnsucht des Menschen nach der Versöhnung von Irrationalität und Rationalität, von Ordnung und Chaos, die uns solche Werke als anregend empfinden lässt.

3
Deshalb haben alle diese Begriffe von denen einer den anderen bedingt, ja geradezu braucht um überhaupt wahrgenommen und erkannt zu werden, auch für das ästhetische Empfinden der Menschen eine so eminente Bedeutung.

Reinhard Roy gestaltet dieses spannungsreiche Wechselverhältnis in Bildkompositionen die im Verzicht auf jegliche Gegenständlichkeit oder Literarisierung und damit auch vorgegebener Betrachtungsmuster, in ihrer Logik und Zwangsläufigkeit wie mathematische Beweise wirken.

Er malt – in Mischtechnik – Tafelbilder mit leuchtenden, fein differenzierten Tönen von außerordentlicher Disziplin, Strenge, und doch Transparenz.
Monochrome Farben oft nur leicht in sich moduliert, gliedern sensibel Flächen in bestimmten Kontrast- und Teilungsverhältnissen oder werden von präzise gesetzten Strukturen aus geometrischen Elementarformen überzogen.

Dabei nimmt Reinhard Roy das Punktraster, seit der zufälligen Entdeckung eines Rasterbleches aus Industrieabfall als sein persönliches formales Ausdrucksmittel in Anspruch, dass er – ganz im Sinne der Pioniere der Moderne – souverän, variantenreich und äußerst überzeugend einsetzt und so Kunstwerke von strenger Poesie schafft, in denen sich unsere Zeit auf beeindruckende Art widerspiegelt.
Roy konzentriert sich ganz auf das suggestive Spiel einer streng logischen, auf einfachste Elemente reduzierten Flächenkomposition und die emotionale Ausstrahlung der Farben. Die lapidare Formensprache der meist quadratischen Gemälde strahlt dabei mit ihrer Art der Raum – Fläche –Dynamik beeindruckende Monumentalität und darin eine schwer zu beschreibende stille Schönheit aus.

Eine Grundkomposition wird durch leichtes Versetzen und Verschieben sowie farbiges Überlagern von Rastermodulen auf der monochromen Fläche in immer neue, bewegte Gleichgewichtszustände gebracht und durch hauchdünne Unschärfen diaphane Strukturen erzeugt, die mit dem Untergrund eine lebendige und rhythmisch pulsierende Verbindung eingeht, wodurch die Gegensätze des Rasters und der Fläche als ein Raum bildendes Phänomen wieder zu einer bildnerischen Einheit werden. Sie vermitteln eine mikroskopisch dichte Nah- Sicht ebenso, wie die Unendlichkeit des Universums. Scheinbar Reales gleitet unmerklich ins Surreale, es entsteht ein Zustand des Schwebens und der Schwerelosigkeit für den es keine Begrenzung von Raum und Zeit zu geben scheint.

Dem einen mögen die Rasterpunkte wie der Ausschnitt aus einem extrem aufgelösten Foto erscheinen, dem anderen wie der Blick in einem gewaltigen Raum. Beides ist wahr und doch auch wieder nicht.

Die Begriffe heben sich auf und zeigen die Ambivalenz der
Erscheinung sowie die unseres Denk- und Assoziationsvermögens.
Äußerlich gesehenes wird sogleichzeitig zu innerlich geschautem, unspektakulär und ganz still, jedoch ehrlich und wahrhaftig.

All dies geschieht fern jeder intellektuellen Spielerei mit einer Selbstverständlichkeit und Souveränität, die ihre Überzeugungskraft aus der Erlebnis- und Gestaltungsfähigkeit des Autors bei der konsequenten künstlerischen Umsetzungen seiner Wahrnehmung von Wirklichkeit gewinnen.

Allerdings erwartet Roy den aktiven und sich auf die Bilder einlassenden Betrachter als Dialogpartner, denn die Werke wollen im wahrsten Sinne des Wortes erlebt werden, bieten doch die nuancierten Verschiebungen der Punkte in ihrer vibrierende Erscheinung, immer neue Perspektiven und veränderte Blickebenen.

5
Somit öffnet dieser scheinbar so konstruierte Bildkosmos einen zwar abstrahierten aber tatsächlichen Kosmos realer, täglich erlebter Erscheinungen. Bei intensiver Auseinandersetzung mit den Bildern wird man feststellen, wie sehr sie der Wirklichkeit unserer Lebenswelt standhalten.
Die Arbeiten des Reinhardt Roy sind zwar der Konkreten Kunst zuzuordnen, da diese einen weiten Rahmen absteckt, dennoch passen sie weder in die vielen Schubladen der Kunst-Systematiker noch des Marktes hinein. Obwohl Kinder dieser Zeit, bleiben sie autonom.
Zu leuchtend, zu nuancenreich in der Farbe – zu sensibel im Verhältnis von Grundformen und deren feinen Binnenstrukturen – kurz zu suggestiv, zu eigenwillig und eigenständig sind diese Werke.

Hans – Peter Jakobson

1) Ursula Zeller in der Publikation „Idee und Werk“ a. d. Galerie am Fischmarkt 1995.