Strenge Bildflächen scheinen plötzlich zu pulsieren

Rasterbilder von Reinhard Roy in der Galerie für Konkrete Kunst Berlin

Bilder sind keine Schatten von Ideen. Robert Motherwell sagte einmal, dass es beim Malen um die „Haut der Welt“ geht. Der Betrachter soll sich kontemplativ in die Bildwelt versenken und ihre Eigentümlichkeit nicht durch eine vorgeprägte Erwartungshaltung verdecken. Reinhard Roy, der in Bad Weilbach lebende „konkrete“ Künstler, der auch in Berlin ein Atelier besitzt, hat den perspektivischen, an einen Punkt angewurzelten Betrachterstandort aufgehoben, sich damit von Projektion und Abbild gelöst und die Bildelemente an die Fläche gebunden. Der Betrachter wird nicht herkömmlicherweise auf einen Standpunkt außerhalb des Bildes fixiert, sondern suggestiv in das Bild hineingezogen: Man soll hineinfallen, wie man in einen Spiegel fällt.

Aber das ist ja kein wirklicher Raum, denn alles wird von einem flächigen, fein abgestuften Blau, Rot, Violett oder Türkis durchdrungen, keine alltäglichen Farben also, in die der ganze Raum getaucht ist und die ihn als unwirklich überführen. Roy färbt die Leinwand ein wie Aquarellpapier und lasiert dann in mehreren Farbschichten übereinander, so dass der Betrachter in tiefes Wasser oder in Nebel hineinzuschauen meint, der von innen her erleuchtet ist. Bilder mit Fliedergrau-, Weiß-und Silbertönen, einem beinahe monochromen Schwarz, mattem Pflaumenrot oder finsterem Violett, so daß sie fast Grabstelen gleichen. Dann aber werden wieder jähe Flecken, schleierartige, verwaschene Rosas, Blaus oder ein ausgedünntes Malachitgrün auf die Leinwand geworfen, als wäre sie die Seite eines Skizzenbuchs. Es sind angstfreie, sozial indifferente Bilder, die ästhetisches Wohlgefallen auszulösen vermögen.
In diese Modulationen der monochrom dominierenden Farben sind nun aber eng gewebte Punktraster gelegt, fast wie Fenster (Fenster als Filter zwischen drinnen und draußen) – ein Bild im Bild, Quadrat im Quadrat, die Bildmittelfläche ausfüllend, bei Hoch- oder Querformaten dann wieder als Horizontale, Vertikale oder Diagonale, parallel entgegengesetzt oder mehrfach aufgetragen und gegeneinander verschoben. Die ganze strenge Oberfläche scheint plötzlich zu pulsieren. Sie verwandelt sich in ein Kontinuum von kleinen Episoden, funkelnden Koordinaten, ja synkopischen Rhythmen. Entfaltung, Rhythmik, Variation und Wiederholung übertragen sich wie selbstverständlich auf das Bild.

Roys Grundthema ist, nicht nur die Ordnung zu unterwandern, sondern auch die Vielzahl der Möglichkeiten auf diesem Wege aufzuzeigen. Ein regelmäßiges Punktraster – dem oberflächlichen Betrachter mag es wie ein gleichmäßiges, lebloses Muster erscheinen.
Aber dann stößt man auf das Seltsame. Die „Punkte“ sind nicht rund, sondern oval. jeder hat einen Drehpunkt, und wenn man das Auge eine Zeile entlangwandern lässt, scheint sich jeder irgendwie seinem Nachbarn zuzuneigen. Diese fortlaufende Drehung und Abweichung, immer nur um wenige Grade, der Eindruck des kreisenden Fluktuierens, die Raumtiefe, die plötzlich da ist, steht in totalem Widerspruch zur Regelmäßigkeit des Rasters. Sie bewirkt ein leises Unbehagen wie einen geflüsterten Warnlaut, ein
Murmeln am Rande der Erkenntnis. Vor einem Roy-Bild mit seiner trügerischen Oberfläche aus Instabilität mitten in der Ordnung und Harmonie stellt sich nun kein Wohlbehagen mehr ein. Was zunächst als Variation über ein einfaches Muster erschien, wird zum Sinnbild für Irritation, für Unsicherheiten und Unwägbarkeiten, die mit poetischem Können aufeinander abgestimmt sind.
Eine solche Malerei soll uns keine heile Welt vorspiegeln, denn die Welt ist nicht heil, sondern uns ein Ganzheitsgefühl vermitteln, das sich dem Chaos der Welt widersetzt.

Klaus Hammer